Kennt ihr das? Eigentlich seid ihr ganz ordentliche Menschen, aber sobald ihr in einem Hotel wohnt, sieht euer Zimmer aus wie bei „Hempels unterm Bett“? Mir geht es immer so. Vielleicht liegt es daran, dass in vielen Hotels nur kleine Schränke zur Verfügung stehen, in denen man nicht alle seine Sachen unterbringen kann. Vielleicht liegt es auch daran, dass man nur für einen begrenzten Zeitraum an diesem Ort ist. Was auch immer der Grund dafür ist, es nervt mich gewaltig. Aber irgendwie kann ich mich auch nicht zum Aufräumen motivieren, weil es nach ein paar Stunden wieder genauso aussehen wird… Dann also doch lieber auf das Sprichwort „Ordnung braucht nur der Dumme, das Genie beherrscht das Chaos“ besinnen (wobei ich diesem Spruch eigentlich nicht zustimme).
Bisher hat diese Unordnung meiner Leistung zum Glück noch keinen Abbruch getan, wobei Partie 2 jedoch nicht besonders souverän war. Dafür habe ich gestern – in Runde 3 – glaube ich ganz gut gespielt. Natürlich nicht fehlerfrei, aber doch gut genug, um Großmeister Lev Gutman (2451) einigermaßen verdient zu schlagen! Während ich darüber nachdenke, wie ich die Partie am besten zusammenfassen kann, höre ich das Lied „36 Grad und es wird noch heißer“ von Zweiraumwohnung. Und irgendwie passt der Titel ganz gut zu der Partie. Denn es war eine Kampfpartie, in der beide Seiten auf Gewinn gespielt haben. Die Bedenkzeit wurde maximal ausgenutzt (am Ende hatten beide Seiten weniger als 30 Sekunden auf der Uhr, wohlgemerkt bei der klassischen Bedenkzeit ohne Zeitzuschlag) und die Partie dauerte exakt 100 Züge.
Die Eröffnung – Najdorf – verlief für mich zwar nicht optimal, aber auch nicht schlecht. Ich konnte mit Weiß keinen großen Vorteil erzielen, hatte aber die etwas angenehmere Stellung mit gutem Springer gegen schlechten Läufer und einem rückständigen Bauern auf d6. Es folgte eine Abwicklung in ein Endspiel mit Mehrbauer für Weiß. Allerdings handelte es sich bei diesem Mehrbauern um einen Doppelbauern, der kaum zu halten war. Mit der schwarzen Schwäche auf d6 war ich jedoch trotzdem der Meinung, dass ich die etwas besseren Gewinnchancen habe. Houdini bewertet die Stellung als ungefähr ausgeglichen.
Diagramm 1: Stellung nach 28. Td5
Ich glaube, dass Lev genau wie ich auf Gewinn gespielt hat. Und so kam es, dass er ein paar ungenaue Züge machte, die ich auch sofort ausnutzte. Ich mobilisierte meinen Freibauern auf der a-Linie, der sich plötzlich zu einer starken Bedrohung entwickelte. Trotzdem war die Stellung nicht einfach zu gewinnen (um ehrlich zu sein weiß ich immer noch nicht genau, ob sie jemals zwingend gewonnen war), da Schwarz immer die Drohung hatte, in ein Endspiel Turm + Springer gegen Turm abzuwickeln, welches theoretisch Remis ist.
Diagramm 2: Stellung nach 45. Se3
Diagramm 3: Stellung nach 56. ... Lg1
Und so kam es dann schließlich auch. Mit jeweils weniger als 5 Minuten auf der Uhr fanden wir uns in dem eben beschriebenen Endspiel wieder. Obwohl dieses mit genügend Bedenkzeit nicht schwer zu halten ist, wollte ich mein Glück zumindest noch eine Weile probieren. Und siehe da: Ich konnte schnelle Fortschritte erzielen und den gegnerischen König an den Rand drängen (mein Gegner hat mir dabei zum Glück auch etwas geholfen). Und plötzlich entstand eine Stellung die nun doch nicht mehr so einfach zu halten war. Hier kam es mir zu Gute, dass wir uns inzwischen im Sekunden-Bereich befanden und Lev die nötige Bedenkzeit fehlte. Sonst hätte er bestimmt die Abwendung des drohenden Matts mittels eines Patt-Tricks gefunden und ich hätte mich mit einem Remis zufrieden geben müssen.
Diagramm 4: Stellung nach 99. Kc3. Es droht Tb4#. Einzige Verteidigung in dieser Stellung ist 99.... Tb8! In der Partie folgte 99... Th8 100. Tb4#
Ich habe in der dritten Runde direkt neben Frederik gespielt und konnte seine Partie gegen Michael Kopylov hautnah miterleben. Anfangs war ich positiv überrascht, wie selbstbewusst Frederik gegen den gestandenen IM auftrat. Er zog sehr schnell und bestimmt und musterte seinen Gegenüber neugierig. Nach einigen weiteren Zügen ertappte ich mich dann dabei, dass ich mehr Zeit damit verbrachte, das Vorgehen am Nachbarbrett zu beobachten, als über meine eigene Stellung nachzudenken. Meine positive Überraschung hatte sich in ein ungläubiges Stirnrunzeln verwandelt.
Auch in komplizierter Stellung zog Frederik immer á Tempo. Und so kam es, dass er erst eine Figur und dann einen ganzen Turm weniger hatte und bereits nach einer halben Stunde aufgab.
Wahrscheinlich hatte er sich keine besonders großen Chancen ausgerechnet und wollte die Zeit lieber mit anderen Dingen verbringen. Aber ein bisschen mehr Kampfgeist hätte ich mir schon erhofft!
Nach 3 Runden gibt es nun nur noch 4 Spieler mit voller Punktzahl: Michael Kopylov (2454), Boris Chatalbashev (2560), mein heutiger Gegner Aleksandr Karpatchev (2484) und ich. Es ist interessant, dass meine Gegner, die auch im GM-Turnier mitspielen (Gutman und Karpatchev) am Tag unseres Aufeinandertreffens beide vormittags schnell Remis gespielt haben. Es ist gerade 12.00 Uhr am Tag der 4. Runde (Beginn 16.00 Uhr) und Aleksandr hat sich von seinem Gegner im GM-Turnier (Beginn 10.30 Uhr) schon längst friedlich getrennt. Gestern war es mit Lev Gutman das Gleiche… ob sie wohl Angst vor mir haben? ;-)
Hier geht es zu Runde 4: Runde 4 – Ist es fair oder dumm eine Remisstellung trotz Zeitnot des Gegners Remis zu geben?