Mein Tag begann heute nicht wie üblich mit einem Weckerklingeln. Das lag schlicht und einfach daran, dass ich zurzeit keinen funktionstüchtigen Wecker besitze, da mich mein Handy ja gestern im
Stich gelassen hatte. So musste ich mich also auf meine innere Uhr verlassen. Das jahrelange Zusammenwohnen mit fünf jüngeren Geschwistern hat jedoch seine Spuren hinterlassen – normalerweise
wache ich nicht später als 7.30 Uhr auf. Und so war es auch heute. Allerdings galt es dann erst mal eine Stunde bis zum gemeinsamen Frühstück zu überbrücken. Selbst ich als waschechte
Frühaufsteherin bin um diese Uhrzeit jedoch noch nicht im Vollbesitz meiner geistigen Fähigkeiten und so entschloss ich mich zu einem morgendlichen Yoga-Workout. Yoga habe ich vor einigen Wochen
für mich entdeckt. Ich finde gerade bei einem Turnier stellt diese Sportart (ich bin mir gar nicht sicher, ob man Yoga als Sport bezeichnet…) eine gute Alternative zum Fitness-Studio dar, da man
sich nicht ganz so arg verausgabt und trotzdem etwas Gutes für den Körper und Geist tut.
Nach dem Frühstück war dann Vorbereitung angesagt. Schon ein Blick auf das Eröffnungsrepertoire meiner Gegnerin Anna-Christina Kopinits (2278) reichte aus, um mir ein wenig die Laune zu
verderben. Ich bin nun mal nicht die größte Eröffnungsexpertin und bin deshalb sehr auf eine ordentliche Vorbereitung angewiesen. Wenn man nun aber auf jemanden trifft, der so viele Varianten
spielt wie meine Gegnerin, dann ist es schier unmöglich sich jegliche Theoriekenntnisse innerhalb von drei Stunden anzueignen. Ich gab mir trotzdem große Mühe und verbrachte meinen gesamten
Vormittag damit meine Wissenslücken zu schließen.
Gegen 14.10 Uhr machten wir uns auf den Weg zum Spiellokal, welches ca. 10 Gehminuten von unserem Hotel entfernt liegt. Als wir dort eintrafen, war noch niemand außer den Schiedsrichtern und ein
paar Journalisten da. Diese stürzten sich natürlich sogleich auf uns und wir verbrachten die nächsten zehn Minuten damit in die Kameras zu strahlen. Eigentlich sollte um 14.30 Uhr die
Eröffnungsveranstaltung beginnen. Aber außer uns Deutschen (bestätigt mal wieder sämtliche Vorurteile) schien keiner diese Ankündigung sonderlich ernst genommen zu haben und der Spielsaal füllte
sich erst allmählich. Irgendwann griff dann doch jemand mal zum Mikro und verkündete ein paar allgemeine Informationen rund um Spielsaal und Turnierbedingungen. Wie bei den meisten
internationalen Turnieren gilt auch bei der MEM die Null-Karenz-Regel. Das bedeutet, dass alle Spieler pünktlich am Brett sitzen müssen, da sie sonst kampflos verlieren würden.
Punkt drei Uhr wurden die Uhren gestartet. Am ersten Brett traf Lise auf die erfahrene Spitzenspielerin der Österreicherinnen: Eva Moser (2448). Mit Weiß erzielte sie eine leicht bessere Stellung und bemühte sich lange darum einen Vorteil zu erzielen. Am zweiten Brett hieß die Begegnung Veronika Exler (2124) gegen Marta Michna. Marta wählte eine Variante, in der Schwarz zwar leicht schlechter, aber solide steht. Ihre Gegnerin schien keinen richtigen Plan zu finden und kam schnell in Zeitnot. Das konnte Marta gut ausnutzen und bald stand es 1:0 für uns. Auch Sarah konnte schnell gewinnen. Sie war zwar voll in die Vorbereitung der Gegnerin gelaufen, konnte sich aber bald aus ihrer etwas passiven Stellung befreien und zum Gegenschlag ausholen. Uns reichte also ein Remis zum Mannschaftssieg. Dieses mussten wir uns aber hart erarbeiten, denn Lises Remisangebot wurde eiskalt abgelehnt und ich musste mich mit einer sehr unangenehmen Stellung herumplagen. Bei mir war eigentlich alles schief gelaufen, was schief laufen konnte. Schon nach ihrem ersten Zug (1…e5) stellte sich meine ausführliche Vorbereitung als vergebens heraus (naja, langfristig hat es bestimmt was gebracht, aber das konnte mich in der Partie auch nicht so richtig trösten…). Ich verfiel also erst mal in tiefes Nachdenken. Ich wollte ihr nicht einfach in die Vorbereitung laufen (ich bin leider sehr ausrechenbar), kannte aber auch keine anderen Varianten als die, die ich immer spiele. Dann erinnerte ich mich an ein Abspiel, dass ich mir vor einem Jahr mal angeschaut hatte und beschloss ein wenig zu improvisieren. Ein großer Fehler wie sich herausstellte. Obwohl meine Gegnerin noch nie zuvor 1….e5 gespielt hatte und auf keinen Fall mit dieser Variante gerechnet haben konnte, kannte sie sich bestens aus und ich stand nach wenigen Zügen ziemlich kritisch. Die ganze Partie über musste ich um Ausgleich kämpfen. Erst versuchte ich mit meinem Springerpaar ihre zwei Läufer in Schach zu halten und später hatte ich sogar eine Qualität mehr, stand aber immer noch nahe am Verlust. Nach langen 4,5 Stunden fand ich schließlich eine Möglichkeit das Remis zu erzwingen und konnte mir den hart erkämpften halben Punkt sichern.
Es spielte also nur noch Lise. Ihre Stellung hatte sich nicht großartig verändert: sie hatte immer noch leichten Vorteil und gerade ein Remisangebot ihrer Gegnerin abgelehnt. Mit nur noch wenigen
Sekunden auf der Uhr wagte sie einen Bauernvorstoß, der die Öffnung der Stellung bewirkte. Leider war das keine gute Idee. Bei bestem Spiel hätte Eva Moser hier das Blatt wenden können, sie
entschied sich jedoch für eine weniger gute Variante. Lise hatte zwar nun eine Qualität weniger, verfügte aber über einen starken Freibauern und reichlich Gegenspiel. In einer Zeitnotschlacht
konnte sie schließlich die Partie glücklich für sich entscheiden. Der Endstand lautete also 3,5:0,5. Auch wenn wir etwas Glück gehabt haben, kann man mit diesem guten Start durchaus zufrieden
sein. Lena hat sich ihren freien Tag heute mit Tennisspielen vertrieben – ich wette, sie ist mindestens so ko. wie wir :-)
Auch die Männer waren über ihr 3:1 gegen Montenegro sicher nicht unglücklich. Arkadij lieferte sich mit seinem Gegner Nikola Djukic einen heißen Schlagabtausch. Djukic opferte zunächst eine Figur
für zwei Bauern und konnte dann im Laufe der Partie noch zwei weitere Bauern gewinnen. Das half ihm jedoch nichts, da Arkadij letztendlich in ein gewonnenes Endspiel abwickeln konnte. Georg
konnte schon früh in der Partie einen Bauern gewinnen und nach und nach seine Stellung verbessern. Am Ende reichte es leider nur für ein Remis. Jan wird über sein Remis wohl auch nicht so
glücklich gewesen sein. Mit Schwarz stand er bereits nach wenigen Zügen klar besser und alles deutete darauf hin, dass das ein schneller Sieg werden würde. Es folgten ein paar ungenaue Züge – der
Vorteil ging jedoch nicht gänzlich verloren. Und dann verzählte sich Jan wohl beim Zügewiederholen – ein ärgerlicher Fehler, der mir wohl den Abend verdorben hätte. Aber als ich Jan beim
Abendessen traf, wirkte er eigentlich so gut gelaunt wie immer. Auch Rainer erzählte lebhaft von seiner Partie. Er hatte in der Eröffnung schnell einen Bauern mehr und wickelte später in
Vier-Bauern-gegen-Läufer-Endspiel ab, das er dann auch gewinnen konnte.
Ansonsten gab es sowohl im Frauen- als auch im Männerturnier kleine Überraschungen. Bei den Frauen kamen die Armenierinnen nicht über ein 2:2 gegen Tschechien hinaus und bei den Männern spielte
Frankreich (ohne Feller!) unentschieden.
Alles in allem also ein recht erfolgreicher Tag für die deutsche Delegation. Morgen geht es bei den Frauen gegen die Niederlande und die Männer wurden gegen Israel gelost.
Den Witz des Tages landete heute übrigens (unfreiwillig) Raj. Nach folgendem Satz: „Lena, du siehst heut irgendwie anders aus … Hast du dir die Haare gewaschen?“ konnte sich die Frauenmannschaft
vor Lachen nicht mehr halten (Lena hat natürlich immer gewaschenen Haare :-)).