Oh man, ich fühle mich gerade mindestens zehn Jahre älter und völlig erschöpft. Und da soll noch mal jemand sagen, dass Schach kein Sport sei. Aber so eine 5,5-Stunden-Partie schlaucht schon ganz schön und auch wenn ich beim Abendessen mittels Törtchen und Schokocreme möglichst viele Kalorien zu mir genommen habe, wird es wohl noch ein bisschen dauern bis ich wieder auf der Höhe meiner geistigen Kräfte bin. Naja, ich bin aber ehrlich gesagt auch selbst dran Schuld – ich hätte eigentlich schon viel früher fertig sein können und meine Gegnerin und Raj nicht so lange quälen müssen. Okay, zwischendurch hat auch sie mich ein bisschen gequält … aber alles der Reihe nach.
Als wir heute Morgen die Aufstellung der Rumäninnen erfuhren, war ich zuerst ein wenig enttäuscht. Da sie ohne Brett 2 gegen uns antraten, spielte ich gegen die junge und sehr talentierte Internationale Meisterin Irina Bulmaga (2334). Wir sind auch seit kurzem Mannschaftskolleginnen in unserer Frauenbundesligamannschaft Friedberg, was die schachliche Begegnung nicht gerade angenehmer macht. Aber man kann es sich halt nicht immer aussuchen…
Ausnahmsweise kam heute sogar mal meine Vorbereitung aufs Brett. Ich hatte mir von Raj extra eine Ausweichvariante gegen Najdorf zeigen lassen und eigentlich lief alles perfekt. Ich hatte einen Zeitvorsprung und fühlte mich in meiner Stellung sehr wohl. Bereits im 15. Zug übersah meine Gegnerin eine taktische Abwicklung, die mir einen Mehrbauern und das Läuferpaar bescherte. Ich habe jedoch schon oft festgestellt, dass es gar nicht so gut ist, wenn ich gleich zu Beginn der Partie deutlich besser stehe. Irgendwie schaffe ich es immer wieder, meine Stellung noch zu versauen und dann nur mit langem Kampf oder gar nicht zu gewinnen. So war es auch heute. Ich glaube ich muss wirklich an meiner Vorteilsverwertungstechnik arbeiten. Aber wie heißt es doch so schön: das Schwerste beim Schach ist es, eine gewonnene Stellung zu gewinnen. Naja, jedenfalls schaffte ich es irgendwie, dass ihr Turm plötzlich auf die zweite Reihe kam und sie unangenehme Mattdrohungen aufstellen konnte. Mit wenig Zeit auf der Uhr ist so eine Stellung nicht gerade angenehm zu spielen und ich glaube Raj hat auch schon das Schlimmste befürchtet. Aber ganz so schlimm stand es dann doch nicht um mich: ich hatte ja immer noch einen Mehrbauern und konnte alle Drohungen gerade so noch abwehren. Schließlich konnte ich dann in ein Turmendspiel mit Mehrbauern abwickeln, sodass zumindest keine Verlustgefahr mehr bestand. Ich war so auf meiner Partie konzentriert, dass ich gar nicht mitbekam, was um mich herum so passierte. Nach der ersten Zeitkontrolle stellte ich fest, dass Lena leider verloren hatte, Lise und Marta jedoch besser bzw. auf Gewinn standen. Ich hatte bis jetzt noch keine Zeit meine Partie zu analysieren, kann also auch nicht genau sagen, ob mein Endspiel gewonnen war oder nicht. Ich versuchte es jedenfalls und konnte sie schließlich mit einem hübschen Dreiecksmanöver überspielen. Nach 82 Zügen (5,5 Stunden) reichte sie mir dann schließlich die Hand. Zu dem Zeitpunkt hatten Lise und Marta bereits beide ihre Partien gewinnen können; das Endergebnis lautete also 3:1 für Deutschland.
Von dem Männerturnier habe ich dank meiner langen Partie heute wieder mal nicht so viel mitbekommen. Mir wurde berichtet, dass die mittleren beiden Bretter (heute hat Arkadij ausgesetzt) recht problemlos und unspektakulär remisierten und Brett 1 und 4 jeweils einen ganzen Punkt zum Mannschaftsergebnis beisteuern konnten. Besonders einfach hatte es Rainer, der bereits nach wenigen Zügen mit Schwarz (!) auf Gewinn stand und seine Partie zügig beenden konnte. Ganz anders verlief dagegen die Partie von Georg. Er spielte ein leicht besseres Endspiel gegen Fabiano Caruana (2727) so lange, bis dieser schließlich einen Fehler machte. Auch hier lautete das Endergebnis demnach 3:1 für Deutschland.
Nun sieht die Lage für beide deutschen Teams schon wieder etwas freundlicher aus. Die deutschen Männer spielen über ihren Erwartungen und liegen zurzeit auf Platz 5. Der morgige Kampf gegen Rumänien wird zeigen, ob vielleicht sogar eine Medaille drin sein könnte. Wir Frauen können mit dem momentanen neunten Platz zwar noch nicht hundertprozentig zufrieden sein. In den letzten drei Runden kann jedoch noch viel passieren und der Abstand zur Spitze ist noch nicht so gewaltig.
In diesem Sinne bin ich gespannt, wie der Wettkampf morgen verlaufen wird und mache mich jetzt erst mal auf den Weg zur Purple Bar. Dort haben wir in ein paar Minuten ein Treffen der beiden Mannschaften.