Mein Wecker klingelt. Gäääähn. Obwohl ich eigentlich eine Frühaufsteherin bin, fühle ich mich wie gerädert. Das liegt vielleicht daran, dass ich gestern erst wieder nach Viernheim (meinem derzeitigen Wohnort) zurückgekommen bin und innerhalb weniger Stunden meine Sachen auspacken, waschen und wieder einpacken musste. Zudem ist während meiner Abwesenheit mein Mitbewohner ausgezogen und hat neben seinen Möbeln natürlich auch seine sonstigen Wohnutensilien mitgenommen. Nun ja, ich wollte schon immer mal mein Abendbrot aus Müslischüsseln essen. :-)
Also eigentlich beste Voraussetzungen um wieder zu verreisen. Und genau das hatte ich auch vor. Nachdem ich während meiner Schulzeit jahrelang mit Russischvokabeln gequält worden bin und mich letztendlich auch mit dieser wunderschönen Sprache anfreunden konnte, wollte ich meine Russisch-Kenntnisse mal wieder etwas auffrischen. Schon während meines ersten Studienjahres habe ich einen Russischkurs an meiner Uni belegt um dem Vergessensprozess, der beim Nichtbenutzen einer Sprache automatisch einzusetzen droht, entgegenzuwirken. Allerdings beschäftigten wir uns in diesem Kurs hauptsächlich mit Grammatik, was nicht gerade zu meinen Lieblingsbeschäftigungen zählt. Ich wollte stattdessen die Sprache aktiv anwenden, wenn möglich auch in den Genuss der russischen Gastfreundschaft kommen und die russische Kultur und Mentalität hautnah erleben.
All dies ermöglichte mir mein Stipendium der Studienstiftung. Denn zu der ideellen Förderung gehört neben wissenschaftlich ausgerichteten Sommerakademien und unzähligen kleineren Veranstaltungen auch das Angebot Sprachkurse belegen zu können. Ich entschied mich für eine dreiwöchige Reise nach St. Petersburg.
Und heute war nun der Tag, an dem ich für 21 Tage in ein anderes Leben eintauchen sollte. Nachdem ich mich endlich aus dem Bett gequält habe, muss alles sehr schnell gehen. Schnell noch frühstücken (Müslischüsseln habe ich ja) und dann auf zum Mannheimer Hauptbahnhof, von wo aus dann mein Zug zum Stuttgarter Flughafen abfahren würde.
Hilfe, meine Bahn kommt nicht. Na das fängt ja gut an….
Zum Glück ist die Bahn dann doch noch gekommen. Ich habe zwar meinen Zug in Mannheim verpasst, sitze nun aber im nächsten und hoffe, dass alles gut gehen wird.
Geschafft. Ich bin erfolgreich durch alle Sicherheitskontrollen am Flughafen gekommen und sitze nun am richtigen Gate. Eigentlich sollte das Boarding jeden Augenblick beginnen, allerdings ist weit und breit kein Flugzeug zu sehen. Da ertönt auch schon die erste Ansage: Sehr geehrte Damen und Herren, aufgrund von Verzögerungen im Betriebsablauf wird sich der Abflug um fünf bis zehn Minuten verzögern. Wir bitten um Ihr Verständnis.
Alles klar, denke ich, das kennt man ja schon von der Deutschen Bahn.
Aus den fünf bis zehn Minuten sind 55 geworden. Inzwischen befinden wir uns aber in der Luft und ich habe von meinem Fensterplatz aus eine wunderbare Aussicht auf Berge, Seen und alles, was sich sonst noch tausende von Meilen unter uns befindet.
Mein Sitznachbar – ein älterer Herr – hat mich zu Beginn unseres Fluges erst mal ordentlich geschockt. Auf seine Frage, wohin ich denn reisen würde, antworte ich mit: „nach St. Petersburg“. Daraufhin erwiderte er todernst: „Und warum fliegen Sie dann erst nach Moskau?“ Nachdem ich wohl einen etwas bestürzten Gesichtsausdruck gemacht habe, versicherte er mir jedoch, dass alles in Ordnung sei und wir nach St. Petersburg fliegen würden. Haha.
Gerade kommt das Essen. Im Gegensatz zu den meisten anderen, die ich kenne, freue ich mich jedes Mal aufs Flugzeugessen. Diesmal ist es aber nur ein belegtes Brötchen. Mein Sitznachbar reicht mir seins mit den Worten: „Das ist für dich.“ Hat da etwa jemand ein schlechtes Gewissen?
(ab jetzt sind alle Zeitangaben nach der Zeit hier vor Ort – also 2h nach der deutschen Zeit)
Inzwischen befinde ich mich auf russischem Territorium. Mit einer Stunde Verspätung sind wir in St. Petersburg gelandet und haben bereits die Passkontrolle hinter uns und unser Gepäck erhalten. In der Eingangshalle wurde ich von einem jungen Mann mit einem riesigen Liden&Denz-Schild empfangen. Er gehört zu der Sprachschule, bei welcher ich meinen Sprachkurs absolvieren werde. Ich warte zusammen mit einem Amerikaner auf einen weiteren Teilnehmer am Sprachkurs. Wir unterhalten uns über Gott und die Welt – allerdings auf Englisch und nicht auf Russisch. Erst im Auto bekomme ich Gelegenheit mich meiner bereits verrosteten Kenntnisse der russischen Sprache zu bedienen. Etwas holprig frage ich unseren Fahrer nach verschiedenen Gebäuden und Denkmälern, an denen wir vorbei fahren.
Der Fahrer wollte uns nach und nach bei unseren Gastfamilien absetzen. Aber schon bei der ersten gibt es ein Problem: es ist nämlich keiner da. Also wieder rein ins Auto und ab zur nächsten Wohnung. Diesmal fahren wir zur falschen Adresse. Nun ja, so haben wir wenigstens ausführlich Gelegenheit die Stadt zu betrachten. Und da gibt es einiges, was lohnt betrachtet zu werden. Mein erster Eindruck ist sehr positiv. Neben vielen alten, historischen Bauwerken befinden sich auch viele moderne Gebäude im Zentrum der Stadt. Nur selten kommen wir an heruntergekommenen Gegenden vorbei und auf den ersten Blick wirkt alles sehr gepflegt und sauber, was für eine so große Stadt (ca. 5 Mio. Einwohner) doch sehr erstaunlich ist. Während unserer ca. zweistündigen Fahrt sehe ich viele Flüsse und unzählige Brücken. Nicht umsonst trägt St. Petersburg den Spitznamen „russisches Venedig“. Ja, der westliche Einfluss ist nicht zu übersehen. Neben McDonalds und anderen Fast-Food-Restaurants bemerke ich auch viele Klamottenläden und Einkaufspassagen mit westlichem Touch.
Ich bin die letzte, die noch zu ihrer Gastfamilie gebracht werden muss. Die beiden Jungs wurden notgedrungen zusammen abgesetzt (der eine hatte ja noch keine Wohnung) und ich hoffe inständig, dass bei mir jemand daheim ist. Leider liegt die Wohnung, in der ich die nächsten Wochen verbringen werde, wirklich sehr außerhalb und nach meinem Gefühl auch nicht gerade im besten Viertel. Hier sind viele Hochhäuser, die man sonst nur aus alten DDR-Filmen oder eben aus Reportagen über ärmere Gegenden sieht. In genau so einem Hochhaus setzt mich der Fahrer ab. Ich fahre in den zehnten Stock und klingle an der mir angegebenen Wohnung. Eine junge Frau öffnet die Tür. Sie heißt Nina und scheint sehr nett zu sein. Sie zeigt mir mein Zimmer und lässt mich dann erst mal allein. Mein Zimmer ist nicht besonders groß und sehr schlicht, für mich aber völlig ausreichend. Ich habe einen Schreibtisch, ein Bett und naja so etwas wie einen Kleiderschrank und mehr braucht man ja nicht... Sogar ein Fernseher steht in meinem Zimmer, den ich aber bestimmt nicht oft benutzen werde. Wobei… eine Sprache lernt man bestimmt auch durch Talkshows. :-)
Die Wohnung ist recht klein (zwei Zimmer) und einfach. Etwas irritierend finde ich die drei Fernseher, die auch die meiste Zeit an sind obwohl sich niemand im Raum befindet. Außer Nina wohnt hier noch ihr vier Jahre alter Sohn, den ich wenig später kennenlerne.
Es gibt Abendbrot. Ich hatte gehofft, dass wir alle zusammen essen. Dem ist aber nicht so, da Nina ihren Sohn ins Bett bringen muss. Ich esse also allein und warte darauf, dass Nina wieder in die Küche kommt. Wir besprechen, dass sie mir morgen die Stadt zeigen wird.
Ich liege erschöpft in meinem Bett. Ich bin froh, dass alles so gut geklappt hat und freue mich auf meinen Aufenthalt hier. Mit Nina habe ich bisher nicht so viel geredet, da wir uns nach unserem kurzen Gespräch nicht nochmal gesehen haben. Ich habe nach dem Essen noch 40 Minuten Yoga gemacht und danach hat sie anscheinend schon geschlafen. Ich hoffe, dass wir morgen mehr miteinander unternehmen.
Leider spinnt meine Kamera, sodass ich pro halbe Stunde nur ein Bild machen kann - dann geht sie wieder aus. Ich hoffe, dass ich trotzdem ein paar Bilder machen und schicken kann.
So, das war‘s erst mal. In diesem Sinne: до свидания und viele Grüße aus St. Petersburg.
Eure Melanie