So langsam freue ich mich doch schon wieder etwas auf Deutschland, meine Wohnung und mein Essen. Das liegt vor allem daran, dass ich bei meiner Gastfamilie weiterhin nur Brot, Nudeln und Kartoffeln bekomme und mich langsam aber sicher nach kulinarischer Abwechslung sehne. Außerdem sind hier die Wände sehr dünn und Nina hat leider die Angewohnheit täglich bis spät in die Nacht hinein zu telefonieren.
Ich fliege übrigens am Samstag um 07.05 Uhr. Das bedeutet: gaaanz früh aufstehen, da ich ja schon gegen fünf Uhr am Flughafen sein muss. Leider kann ich nicht die ganze Nacht durchfeiern, da die Metros erst wieder ab fünf Uhr fahren. Ich muss also auf meinen Abholdienst warten (zum Glück gibt es sowas) und die letzte U-Bahn um Mitternacht nehmen.
Glücklicherweise habe ich inzwischen fast alle Punkte meiner to-do-Liste abgearbeitet :-) und jetzt kann ich auch ein Häkchen hinter die Kunstkammer setzen. Dorthin habe ich mich nämlich heute nach der Schule begeben und damit alle Warnungen ignoriert, die mir von den verschiedensten Seiten zugetragen wurden. Nachdem ich mich erfolgreich als Schülerin ausgegeben habe (und so die Ausstellung zu einem ermäßigten Preis besichtigen durfte), stürzte ich mich sogleich in die dort anwesenden Menschenmassen. Es fing alles ganz harmlos an. Auf drei Ebenen konnte man die verschiedenen Kleidungsstile unterschiedlicher Kulturen im Wandel der Zeit betrachten. Leider lag der Schwerpunkt eindeutig auf den asiatischen Kulturen, während Südamerika und Europa kaum bzw. gar nicht gewürdigt wurden.
Die ganze Zeit über fragte ich mich, wohin denn die ganzen Leute verschwunden waren, die sich am Eingang der Ausstellung gedrängelt hatten. Bald sollte ich es erfahren. Ein großes Schild deutete darauf hin, dass im Herzstück des Museums das Fotografieren verboten sei. Aber das wär auch recht sinnlos gewesen, da man vor lauter Menschen eh nichts Besonderes erkennen konnte. Ich bahnte mir also einen Weg durch die Menge und peilte den nächststehenden Schaukasten an. Dort angekommen konnte ich ein Schaudern nicht unterdrücken. Was ich dort sah war ein echter Kopf eines Kindes, der in einer Flüssigkeit schwamm und mich mit ausdruckslosen Augen anstarrte. Doch das war nicht das einzige Exponat dieser Art. Über den ganzen Raum verteilt lagerten abgeschnittene und herausgenommene Körperteile und Organe und die gaffende Menge erfreute sich an ihnen. Ich versuchte das Ganze aus einem wissenschaftlichen Blickwinkel zu betrachten. Bei den Herzen, Nieren und Darmbestandteilen funktionierte das auch ganz gut, aber die abgeschnittenen Köpfe und Embryonen zogen immer wieder meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich fand das irgendwie ekelerregend. Damit meine ich nicht die Babys an sich, sondern eher die Tatsache, dass mit so etwas Geld verdient wird und man sich die Kinder wie in einem Zoo anschauen kann. Ich glaube nicht, dass damals im 18. Jahrhundert (!) als die Kinder „eingelegt“ wurden irgendjemand um Erlaubnis gefragt wurde, geschweige denn ahnen konnte, dass aus den Unglücklichen einmal Ausstellungsstücke werden würden.
Auf dem Heimweg erwartete mich dann die nächste böse Überraschung: unser Fahrstuhl hatte den Geist aufgegeben. Leider hatte ich keine Ahnung, wo sich denn in dem riesen Gebäude eine Treppe befinden könnte. Schließlich gelangte ich über etwas, das ich nie als Tür bezeichnet hätte, zu einer abenteuerlichen Treppe, die ich dann bis zur zehnten Etage hinaufstieg. Zum Glück habe ich von Anfang an die Etagen mitgezählt, denn es wies nichts darauf hin wo man sich gerade befand und alle Etagen sahen für mich irgendwie gleich aus. Anschließend musste ich dann noch über eine Art Balkon klettern um in den Hausflur zu gelangen. Ich war jedenfalls heil froh, als ich endlich die Wohnung erreicht hatte und hoffe, dass morgen der Fahrstuhl wieder funktioniert…