Wir alle kennen das Gefühl einer schmerzhaften Niederlage: der Einsteller in Gewinnstellung, der Verlust auf Zeit, das übersehene zweizügige Matt. So eine Verlustpartie kann einen schon ganz schön aus der Bahn werfen und sich somit auch negativ auf die nächsten Partien im Turnier auswirken. Was aber tun, damit genau das nicht passiert? Hier ein paar Tipps aus meiner Turnierpraxis:
Kurze Analyse nach der Partie
Direkt nach der Partie erlaube ich mir in einem Zeitfenster von ca. 30-45 Minuten die Niederlage emotional zu verarbeiten. Ich ärgere mich, bin traurig, versinke in Selbstmitleid und konfrontiere mich in einer kurzen Partieanalyse mit den Schlüsselmomenten in der Partie. Hier nehme ich die Engine zu Hilfe, die mir direkt Feedback zu meinen partieentscheidenden Fehlern gibt.
Der Fokus in dieser ersten Analyse liegt aber vor allem auf der Eröffnungsphase. Ich überprüfe, bis wohin alles nach Plan lief und was ich ggf. zukünftig anders spielen würde. Diese Analyse ist wichtig, falls die gleiche Variante im Turnier erneut aufs Brett kommt.
Auf andere Gedanken kommen
Nach der ersten Verarbeitungs- und Analysephase versuche ich dann auf andere Gedanken zu kommen. Das funktioniert bei mir gut mit Sport, andere gehen vielleicht lieber spazieren, telefonieren mit einer vertrauten Person, lesen ein Buch oder machen ein Nickerchen.
Je nach Turnierablauf (Doppelrunde etc.) hat man ggf.nicht so viel Zeit zur Verfügung - dann würde ich diese Phase gegenüber der Partieanalyse priorisieren.
Konzentration auf die nächste Partie
Nachdem man den Kopf freibekommen und sich die Laune gebessert hat, heißt es nun: volle Konzentratrion auf die nächste Partie. Und zwar im Optimalfall ohne einen Gedanken an die letzte Partie und/oder die Turniersituation zu verschwenden.
Ein Fehler, den ich in der Vergangenheit auch schon oft gemacht habe, besteht in dem Versuch die vorangeganen Misserfolge nun krampfhaft wieder gut machen zu wollen. Das äußert sich zum Beispiel in besonders risikofreudigem Spiel oder einem übertriebenen Siegeswillen. Teilweise trat bei mir auch eine "Null-Bock"- oder "Jetzt-ist-es-eh-egal"-Stimmung auf.
All diese Emotionen und Einstellungen machen es aber meist nur noch schlimmer und man gerät in einen Negativstrudel. Deswegen hier meine wichtigste Empfehlung:
"Betrachte jede Partie als neue, eigenständige Partie!"
Dieses Vorgehen ist nicht einfach und erfordert auch etwas Übung. Aber mir hat diese Herangehensweise schon oft geholfen, mich für die Vorbereitung zu motivieren und während der Partie nicht von negativen Emotionen abgelenkt zu werden.
Ich wende dieses Prinzip übrigens auch im gegenteiligen Fall an: wenn es so gut läuft, dass eine Norm oder ein Turniergewinn in Reichweite ist. Auch hier versuche ich mich ganz auf die aktuelle Partie zu konzentrieren. Ständige Gedanken darüber, wie viele Punkte noch zum Ziel fehlen, lenken ab und/oder erhöhen die Nervosität.
Der volle Fokus auf die Partie ist natürlich kein Wundermittel gegen eine weitere Niederlage. Es kann und wird vorkommen, dass das Turnier trotzdem schlecht läuft und man noch eine und noch eine weitere Partie verliert. Die Chance, sich wieder zurück ins Turnier zu kämpfen oder zumindest Schadensbegrenzung zu betreiben, steigt mit der Methode meiner Meinung nach aber deutlich an.
Detaillierte Analyse nach dem Turnier
Unabhängig vom finalen Ausgang des Turniers ist es wichtig, sich im Anschluss noch mal detailliert mit seinen (Verlust-) Partien zu beschäftigen. In der vertiefenden Analyse geht es darum, Gedankengänge aus der Partie zu analysieren und zu bewerten. Dabei sollte man am besten zunächst ohne Computerunterstützung die eigenen Ideen analysieren sowie zusätzliche Manöver entdecken und diskutieren. Im nächsten Schritt kann man diese dann mit der Engine überprüfen.
Wenn du hier deine Hausaufgaben machst, wird sich das sicherlich auch positiv auf dein nächstes Turnier und deine weitere schachliche Entwicklung auswirken.
Ich wünsche dir für die Zukunft, dass du aus deinen Verlustpartien möglichst viel lernen kannst und dich nicht entmutigen lässt.
Lass gerne auch einen Kommentar da, wie du mit Niederlagen umgehst.
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Marek (Dienstag, 10 August 2021 16:52)
Hallo ihr zwei,
leider hänge mir Verlustpartien auch einfach zu lange nach und belasten die nächsten Partieverläufe gerade wenn ich mich über eigene Fehler ärgere (wenn der Gegner einfach besser ist, kein Problem aber eigenes Verschulden ist für mich hart zu akzeptieren). Aktuell kann ich mir zwar durch Corona gar nicht mehr vorstellen ein otb Turnier zu spielen aber sobald das mal wieder geht werde ich versuchen diesen jede-Partie-einzeln-sehen Ansatz mal versuch umzusetzen.
Viele Grüße und vielen Dank für das Teilen eures Wissens
M.
Michael (Donnerstag, 25 November 2021 11:29)
Hallo,
kennt ihr das auch wenn in Zeitnot ist man hat eig ne komplette gewinnstellung, und wenn man nur noch 1min auf der Uhr hat bei 20 Züge noch bis zur zeitkontrolle, dann würd man unruhig nervös die Hände hat man quasi auf den Tisch und fängt langsam an sie zu bewegen.
Das gute ist aus einer Verlustpartie soll man ja am meisten lernen, wo war der entscheidende Fehler.
Für das unruhige gibst ja den Tipp hände in die Hosentaschen.
Melanie (Montag, 29 November 2021 22:04)
Hallo Michael,
ja das mit der Zeitnot und der Nervosität kenne ich auch.
Und aus den Verlustpartien lernt man meist tatsächlich am meisten - trotzdem macht gewinnen mehr Spaß ;-). Aber zumindest kann man die Verlustpartien als Training für zukünftige Gewinnpartien nutzen.
Viele Grüße
Melanie
Jupiter (Freitag, 17 Juni 2022 23:52)
Wenn man eine Partie über klar besser steht und dann durch einen einzigen Zug sich selbst erledigt oder durch Zeit verliert, dann sitzt der Frust so tief dass ich die nächsten Partien absichtlich verliere und so meine Wertung nach unten wirtschafte weil es einen so ärgert.
wrBEIRqX (Montag, 12 September 2022 13:55)
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wrBEIRqX (Montag, 12 September 2022 16:07)
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